Werden Fussballerinnen anders trainiert als Fussballer?

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Wie sehr und worin unterscheidet sich das Training der Frauen von dem der Männer im Fussball? Ausserdem würde mich interessieren, wie sehr sich das Training von Spitzensportlern von dem des Breitensportes unterscheidet.

Guten Tag Mika Biber

vielen Dank für Ihre spannende Frage zur Trainingsgestaltung im Männer- und Frauensport. Sie werfen eine Frage auf, die sich vor allem auch Trainer*innen im Leistungssport vermehrt stellen. Bevor ich Ihnen eine Antwort gebe, möchte ich kurz erläutern, aus welcher wissenschaftlichen Perspektive ich spreche. Ich bin Sportsoziologin und Sportpädagogin und forsche zu Geschlechterdifferenzen und Geschlechtervorstellungen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive. Aufgrund meines sportwissenschaftlichen Studiums und meiner Tätigkeit in der Lehrpersonenbildung, habe ich auch grundlegende Kenntnisse in den Bewegungs- und Trainingswissenschaften. Um meine untenstehende Antwort erweitern zu können, könnten Sie zusätzlich noch eine*n Trainingswissenschaftler*in oder eine*n Bewegungswissenschaftler*in kontaktieren. Eventuell könnten Sie auch Trainer*innen fragen, die auf hohen Niveau Athlet*innen betreuen. Vielleicht wenden Sie sich zusätzlich einmal an Swiss Coach.

Nun aber zu meiner Antwort:

Grosse Unterschiede im Training zwischen Breiten- und Spitzensport

Beginnen möchte ich mit Ihrer zweiten Frage, nämlich den Unterschieden zwischen einem Training von Spitzensportler*innen und von Breitensportler*innen. Grundsätzlich lässt sich anmerken, dass die Unterschiede hier zum Teil sehr gross sind. Dies betrifft den Trainingsumfang, die Trainingsmethoden und vor allem auch das Niveau der systematischen Trainingsplanung, die oft im Vorhinein über ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr stattfindet. Aufgrund des hohen Trainingsumfangs braucht es zudem konsequente und systematische Erholungsphasen und diese werden im Spitzensport häufig von Behandlungen durch Physiotherapeut*innen begleitet. Auch die Ernährung, der Schlaf etc. spielen eine wichtige Rolle.

Es lässt sich festhalten: Mit steigendem Leistungsniveau verändert sich auch die Trainingsplanung und -methodik.

Sollten Sie Infos dazu suchen, dann finden Sie diese in trainingswissenschaftlichen Grundlagenwerken, wie z.B. diesem hier:

Ferrauti, A. (Hrsg.). (2020). Trainingswissenschaft für die Sportpraxis: Lehrbuch für Studium, Ausbildung und Unterricht im Sport (1. Aufl. 2020). Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58227-5

Anerkennung von Frauenfussball als Sport

Nun zu Ihrer Kernfrage, nämlich den Unterschieden zwischen dem Training von Fussballerinnen und Fussballern.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass in der Sportwissenschaft die Frage, ob im Männer- und Frauensport unterschiedliches Training sinnvoll ist/wäre, lange Zeit gar nicht gestellt wurde. Das hatte vor allem damit zu tun, dass der Frauenfussball lange Zeit nicht als vollwertiger Sport anerkannt wurde und der Fokus auf dem Männerfussball lag (Das galt für andere Sportarten auch!). Die Forschung z.B. zu Trainingsmethoden und Möglichkeiten der Leistungsoptimierung fokussierte auf den Männersport und die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden 1:1 auf den Frauensport übertragen.

Gender Data Gap

Ende der 1990er Jahre forderten Sportwissenschaftlerinnen – vor allem aus dem englischsprachigen Kontext und insbesondere aus den USA und Kanada sowie dem UK – zunehmend Forschung, die Männer- und Frauenkörper einbezieht. Sie machten und machen bis heute auf das so genannte Gender Data Gap aufmerksam, d.h. eine geschlechtsbezogenen Datenlücke in Bezug auf das Wissen und die Forschung, die es zu Frauen und Männern im Sport gibt. Diese Datenlücke findet sich nicht nur im Sport, sondern in vielen Forschungsbereiche, z.B. in der Medizin. (An der Uni Zürich gibt es mittlerweile einen Lehrstuhl für Gendermedizin, der sich dem Problem stellt.)

Mit Blick auf die Sportwissenschaft stellten die Forscher*innen seit ca. Ende der 1980er Jahre fest, dass die durchgeführten Studien fast ausschliesslich Männer als Probanden, d.h. als Teilnehmer von Untersuchungen, berücksichtigten. Wenn also zum Beispiel die Forschungsfrage gestellt wurde, wie Verletzungen auch bei hohen Belastungen im Trainingslager oder während grosser Turniere vermieden werden können, wurde eine Untersuchung dazu ausschliesslich an Männerkörpern durchgeführt. Spielerinnen aus dem Frauenfussball (oder anderen Sportarten) wurden nicht untersucht, d.h. die Frage, ob Frauenkörper auf ein Training oder eine Trainingsbelastung anders reagieren, konnte auf der Grundlage nicht beantwortet werden.

Ein Forschungsprojekt, das die Problematik im deutschsprachigen Raum erstmals systematisch und mit Blick auf die Sportmedizin aufgriff, wurde an der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführt und zwar von Ilse Hartmann-Tews und Bettina Rulofs. Nachlesen können Sie zentrale Erkenntnisse in folgendem Text:

https://chooser.crossref.org/?doi=10.1515%2Ftranscript.9783839422694.241

Er sollte open access zugänglich sein.

Ein Jahrzehnt Forschung

Vor dem Hintergrund der Kritik, die an den Forschungen geübt wurde und aufgrund der Forderung nach einer systematischen Berücksichtigung von Frauen in sportwissenschaftlichen Studien zu z.B. Trainingsmethodiken, haben nun – ich würde sagen seit etwa 10 Jahren – sportwissenschaftliche Forschungen u.a. zu Trainingsmethoden und Leistungsoptimierung zunehmend auch den Frauensport in den Blick genommen. Das heisst, es wurden Frauenteams untersucht und/oder Forschungen durchgeführt, die sowohl Männer als auch Frauen berücksichtigen. Sie haben vielleicht von dem so genannten zyklusbasierten Training gehört. Das ist aktuell eine grosse Welle, die vor einiger Zeit – meines Wissens zuerst vom US-amerikanischen Fussballnationalteam der Frauen – angestossen wurde. Forschungen dazu gehen der Frage nach: Wie beeinflusst der Zyklus bei Menschen, die menstruieren, die sportliche Leistungsfähigkeit und das körperliche Wohlbefinden?

Zudem finden sich Studien, die beispielsweise Verletzungsanfälligkeiten nicht nur sportartenspezifisch untersuchen, sondern auch der Frage nachgehen, welche Verletzungen eher bei Frauenkörpern und welche ggf. eher bei Männerkörpern auftauchen. In Deutschland hat vor kurzem das Bundesinstitut für Sportwissenschaft ein Forschungsprogramm zu dem Thema Mädchen und Frauen im Leistungssport aufgelegt und es werden vor allem auch Projekt im Zusammenhang mit Trainingsverbesserung gefördert. Hier finden Sie Informationen dazu:

https://www.bisp.de/DE/Forschungsschwerpunkte/FeMaLe/female_node.html

Mit Blick auf Ihre Frage bedeutet das: Es gibt zunehmend Erkenntnisse darüber ob und inwiefern ein spezifisches Training für den Männer- und Frauensport relevant und sinnvoll ist.

Achtung vor Reproduktion von Stereotypen

Als Sportsoziologin und Geschlechterforscherin möchte ich dazu noch folgendes anmerken. Die Forschung, die ich zuvor angesprochen habe, ist wichtig, um für alle Menschen im Sport ein möglichst adäquates Training zu gestalten. Allerdings sehe ich dabei folgende Probleme:

  • Auch die Gruppen der Männer und Frauen sind in sich nicht homogen. Menschen sind nicht nur ihr Geschlecht, sie unterscheiden sich darüber hinaus in vielerlei Hinsicht. Wenn wir also nur Geschlecht bei der Gestaltung von Training berücksichtigen, greift das zu kurz. Grundsätzlich gilt es anzuerkennen, dass Körper sehr verschieden sind und diese Vielfalt muss im Sport in der Trainingsgestaltung berücksichtigt werden.
  • Forschungen, die auf Männer und Frauen und ihre Körper fokussieren, laufen Gefahr, auch nur Männerkörper und Frauenkörper zu sehen. Dass es darüber hinaus Menschen gibt, die sich nicht als Männer und Frauen verstehen, sondern andere Geschlechtsidentitäten leben, gerät dabei aus dem Blick.
  • Eng verbunden damit ist die Gefahr, dass in solchen Forschungen stereoptype Geschlechtervorstellungen reproduziert, also aufrechterhalten werden, z.B. traditionelle Vorstellungen, dass Frauen nicht so leistungsfähig sind wie Männer. Deshalb ist es wichtig, bei Forschungen zu dem Thema Leistungsfähigkeit und Trainingsbelastung, Trainingsmethoden etc. genauer hinzuschauen, wie die Studie gemacht worden ist. Welche Vorstellungen hatten die Forscher*innen bereits im Vorhinein? Wo stecken vielleicht stereotype Vorstellungen von Beginn an in der Studiekonzeption und wie wirkt sich das auf die Ergebnisse aus?

Ich hoffe, dass Ihnen diese Ausführungen etwas Einblick in die Komplexität des Themas geben, dass Sie angesprochen haben mit Ihrer Frage. Viel Erfolg bei weiteren Recherchen!

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