Weshalb ist Quecksilber flüssig?

Sehr geehrter Herr Thurnherr,

In der Antwort stütze ich mich auf einen etwas älteren Artikel aus dem Journal for Chemical Education von 1991. Meine Antwort halte ich zuerst allgemein, dann spezifischer, da ich sehe, dass Sie einen Physik-Hintergrund haben.

Allgemeine Antwort

Quecksilber ist flüssig bei Raumtemperatur, weil die einzelnen Quecksilber-Atome nicht stark zusammenhaften und daher keine starken Metallbindungen bilden. Das heisst, man muss Quecksilber tiefer kühlen, damit man ein festes Metall erhält – um genau zu sein: unter den Schmelzpunkt von -39 °C.

Ob etwas fest, flüssig, oder gasförmig ist, hängt von der Temperatur ab. Je höher die Temperatur, umso schneller bewegen sich die Atome oder Moleküle und desto weniger Ordnung hat ein Material. Wie hoch der Schmelzpunkt (fest zu flüssig) und der Siedepunkt (flüssig zu gasförmig) ist, hängt davon ab, wie stark sich die einzelnen Atome oder Moleküle gegenseitig anziehen. Ist die Anziehung stark, sind der Schmelz- und Siedepunkt hoch. Ist die Anziehung schwach, sind der Schmelz- und Siedepunkt tief.

Alle Metalle haben metallische Bindungen zwischen den Atomen, durch welche die Atome sich gegenseitig Elektronen teilen. Quecksilber teilt seine Elektronen nicht gerne. Daher ist die metallische Bindung schwach und der Schmelzpunkt so tief. Quecksilber verhält sich fast ein bisschen wie die Edelgase Neon, Argon, Xenon, und so weiter.

Spezifische Antwort

Der Grund für die schwache metallische Bindung von Quecksilber ist in der sogenannten Elektronen-Konfiguration zu finden. Wenn man Gold (Au) und Quecksilber (Hg) vergleicht, wird das deutlich: Die beiden Metalle sind Nachbarn, aber verhalten sich ganz unterschiedlich.

Elektronen-Konfiguration:

  • Quecksilber (Hg): [Xe] 4f14 5d10 6s2
  • Gold (Au): [Xe] 4f14 5d10 6s1

Quecksilber hat eine voll gefüllte 6s Schale (also 1 Elektron mehr als Gold). Zusammengefasst hat das drei Auswirkungen:

  1. Lanthanide contraction: Elektronen in f-Orbitalen schirmen die positive Ladung des Kerns weniger gut ab, als Elektronen in anderen Orbitalen. Das heisst, dass die übrigen Elektronen eine stärkere Anziehung zum Kern spüren, was das Atom schrumpfen lässt. Ein kleineres Atom mit stärker gebundenen Elektronen teilt diese Elektronen weniger gerne, daher ist die Anziehung zwischen Quecksilber Atomen vermindert.
  2. Relativistische Effekte: Gemäss Einsteins Relativitätstheorie nimmt die Masse eines sich bewegenden Objektes mit seiner Geschwindigkeit zu. Je grösser ein Atom, umso weiter entfernt vom Kern und umso schneller sind die Elektronen in den äusseren Schalen. Das erhöht die effektive Masse dieser Elektronen, was wiederum zu einer Verkleinerung des Atoms führt. Als Resultat ist Quecksilber viel kleiner und bindet seine Elektronen stärker an sich, was die Anziehung von einem Quecksilber-Atom zum anderen Quecksilber-Atom vermindert.
  3. Volles 6s-Orbital: Weil das 6s-Orbital vollständig gefüllt ist (die Elektronen sind gepaart), gibt es wenig Grund für das Quecksilber-Atom, diese Elektronen zu teilen. Auch deshalb ist die Anziehung zwischen Quecksilber-Atomen vermindert.

Als Resultat wird Quecksilber hauptsächlich von Van-der-Waals-Kräfte zusammengehalten, die schwach sind. Daher ist der Schmelzpunkt von Quecksilber so tief und deshalb ist Quecksilber bei Raumtemperatur flüssig.

Mit freundlichen Grüssen und in der Hoffnung, eine weiterführende Antwort gegeben zu haben,

Michael Lerch

www.lerchlab.com

Literaturhinweis:

  • Norrby, Lars J. 1991. "Why is mercury liquid? Or, why do relativistic effects not get into chemistry textbooks?". Journal of Chemical Education 68(2): 110. Online.

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