Ist Ladendiebstahl ein legitimer Protest gegen die Ausbeutung durch Fast Fashion?

3
1
0

Mein Name ist Clea, und ich hatte kürzlich eine Diskussion über die Folgen von Ladendiebstählen und deren moralische Korrektheit. Leider hatte ich nicht genügend Fachwissen, um beurteilen zu können, welche wirtschaftlichen Prozesse durch Diebstähle ausgelöst werden.

Daher meine Frage: Welchen Einfluss haben Ladendiebstähle (abgesehen von moralischen und kulturellen Werten) theoretisch auf das Wirtschaftssystem? Wer trägt die Konsequenzen?

Ist es aus antikapitalistischer, linker Perspektive sinnvoll zu argumentieren, dass durch das Stehlen Ketten wie H&M oder ZARA geschwächt werden? Kann das Stehlen somit indirekt als Akt gegen deren moralisch fragwürdige Produktionsprozesse gelten? Oder fallen die Konsequenzen letztlich auf die Konsument:innen zurück, indem die Preise aufgrund geringerer Einnahmen steigen? Oder sind es sogar die Arbeiter:innen in der Produktion, die am Ende die Konsequenzen tragen müssen?

Vielen Dank für Ihre Frage. Sie hat zwei Ebenen: Zum einen, ob Ladendiebstahl im beschriebenen Fall legitim ist, und zum anderen, ob er eine Wirkung hätte.

Wirkung erst durch Menge

Zunächst zum zweiten Aspekt. Fast Fashion basiert auf Produkten mit vergleichsweise geringem Wert, aber hohen Verkaufszahlen. Zudem sind die Gewinne je Kleidungsstück oftmals sehr niedrig. Um einen Effekt zu erzielen, müssten daher viele Kleidungsstücke entwendet werden.

"Viel" kann hier tatsächlich grosse Mengen bedeuten. Die European Environment Agency schätzt (vgl. Quelle), dass in der EU zwischen 4% und 9% der Kleidungsstücke vernichtet, anstatt verkauft werden. Dabei kann es sich um Rückläufer aus dem Online-Handel oder um nicht verkaufte Bestände handeln. Wenn die Industrie diesen Verlust hinnehmen kann, wie wirksam wären dann vereinzelte Ladendiebstähle?

Kostenfolgen für Kund:innen und Arbeiter:innen

Selbst wenn damit merkliche Verluste entstehen würden, wäre es auch fraglich, wer diese Verluste letztlich tragen würde. Die Kosten würden ja für alle Fast Fashion-Ketten steigen, falls alle betroffen wären. Dadurch dürfte ein Teil der Kosten auf die Konsument:innen überwälzt werden. Je nachdem welche Alternativen die Arbeiter:innen in den Produktionsstätten haben, könnten die geringeren Margen auch dorthin weitergegeben werden. In einem Markt werden Kostensteigerungen meist von denen getragen, die am schwierigsten auf andere Konsumgüter oder andere Jobs wechseln können.

Insgesamt wäre der Ansatz damit wenig wirkungsvoll.

Legitimere Mittel

Es wäre aus meiner Sicht auch schwer vorstellbar, Diebstahl in diesem Fall zu legitimieren. Diebstahl ist illegal und das aus gutem Grund. Eigentumsrechte sind aus ökonomischer Sicht entscheidend. Wenn eine Gesellschaft es als legitim betrachtet, hergestellte Güter zu entwenden: Welchen Anreiz hätte ein Unternehmen überhaupt noch, zu produzieren?

Es gibt auch keine akute Notlage, die für eine Legitimation sprechen würde ("Der Verhungernde stiehlt das Brot, welches er braucht, aber nicht bezahlen kann."). Letztlich geht es um den individuellen Wunsch ein Unternehmen zu "erziehen" oder zu "bestrafen".

Es gibt Wege, um solche Ziele legal zu erreichen. Individuell kann auf den Kauf von Fast Fashion verzichtet werden. Auf politischer Ebene sind Gesetze wie der "Modern Slavery Act" in Kanada oder das Lieferkettengesetz der EU Schritte, die dazu beitragen, Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen.

EEA-Bericht: Link zur Quelle

Redaktion

Brunnmattstrasse 3
CH-4053 Basel
+41 78 847 76 51
[email protected]


Sozial

LinkedIn

Ansprechpersonen


Medien

Tages Anzeiger, Blick

Partnerschaften

Schweizerischer Nationalfonds

Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften

Gebert Rüf Stiftung

Ernst Göhner Stiftung

mehr ...

Mehr Wissen für mehr Menschen.

© savoir public 2024