Clea Fistarol

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hat gefragt

Wie spiegelt Mode Geschlechterrollen und Geschlechteridentität?

Clea Fistarol

Clea Fistarol

04.03.2024

Ich schreibe eine Maturarbeit zum Thema Geschlechterrollen in der Mode und gestalte darüber hinaus selbst ein Modemagazin. Mich interessiert, inwiefern die Mode die Geschlechterstereotypen und -muster der heutigen europäischen Gesellschaft wiederspiegelt. Und wie kann ich selbst gestaltend mit ihnen umgehen?

Liebe Clea Fistarol,


vielen Dank für Deine Frage. Sie ruft nach einer ausführlichen Antwort, die ich Dir aber vermutlich so nicht liefern kann, weil man ganze Aufsätze und Bücher dazu schreiben kann. Gerne möchte ich aber versuchen, ein paar Punkte aufzugreifen, die damit verbunden sind und die Dich vielleicht darin unterstützen, gestaltend mit der Wiederspiegelung von Genderstereotypen durch Mode umzugehen.


Mode ist selbstverständlich Moden der Gender-Konstruktionen unterworfen und dies nicht erst seit der neuesten Zeit.


So ist es kein Wunder, dass in den sehr konservativen 1950er Jahren, als die Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg zurück an den Herd geschickt wurden, stereotype Bilder von Frauen in Schürzen sehr häufig wurden (vgl. dazu z.B. das Magazin des Wien Museums). Als sich in den 1960er Jahren die Wirtschaft in Europa langsam etwas zu erholen beginnt, wird es möglich, stärker mit den modischen Ausdrucksweisen zu spielen, Frauen beginnen kürzere Röcke und Kleider zu tragen oder aber ziehen viel häufiger Hosen an.


Heute sehen wir in westlichen Ländern Auflösungserscheinungen genderstereotyper Kleidungsstile, die Mode wird queer und Germany's Next Top Model kann auch transgender sein. Aber gerade Modewettbewerbe wie GNTM zeigen, wie viel Konservatismus nach wie vor im Modebereich vorherrscht, so ist die Preisverleihung auch noch im Jahr 2024 an binäre Genderkategorien geknüpft.


Ein Hinweis darauf, dass neben einer Auflösung, Durchmischung oder Vervielfältigung von Genderidentitäten auch eine Retraditionalisierung und ein Rückgriff auf eine klassische Zweigeschlechtlichkeit in der Mode stattfindet, sind die zahlreichen Blogposts zu den TradWives (vgl. dazu auch Wikipedia).


Je nach wirtschaftlicher Konjunkturlage ist es vermutlich einfacher, bestimmte soziale Merkmale damit stärker zu verknüpfen, abzuschwächen oder diese aufzulösen. Die Art und Weise wie über Mode Geschlechteridentitäten ausgedrückt werden, ist immer wieder abhängig von vorherrschenden Sichtweisen und Klassifikationen von sozialen Verhältnissen und damit auch von Geschlecht. Und nach den kurzen historischen Überlegungen, noch soziologische:


Mode kann als ein Ausdruck kulturellen, sozialen und ökonomischen Kapitals verstanden werden, wie es der französische Soziologe Pierre Bourdieu gesagt hätte. Wie sich Menschen kleiden, hängt von ihren finanziellen Ressourcen, aber auch von ihrer Bildung oder der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen ab. Sie ist gleichzeitig Teil der (nur zum Teil freiwilligen) Arbeit am Selbst und damit auch immer Ausdruck von Identität. D.h. jemand kleidet sich (bewusst oder unbewusst) auf eine bestimmte Art und Weise und wird damit auch entsprechend wahrgenommen, was wiederum verstärkend auf das Selbst-Gefühl und die Verhaltensweisen zurückwirkt.


Mode hat aber noch eine viel weitreichendere Bedeutung für Geschlechterrollen und zwar, indem sie an bestimmte Produktionsbedingungen geknüpft ist. Nicht zu vergessen sind die Menschen, die die Kleider in der Modeindustrie herstellen. Zunehmend ist die Produktion der entsprechenden Produkte an Menschen – und dabei häufig Frauen – in Niedriglohnländern ausgelagert. Hinzu kommt die Zerstörung von lokaler Textil- und Kleiderproduktion in Ländern des Südens, durch das Weiterreichen von erst gekauften und kaum getragenen Kleidungsstücken durch transnational aktive Recycling-Unternehmen.


Ein sehr schönes Beispiel dafür, was alles an die Produktion eines Haut-Couture-Kleidungsstücks geknüpft ist, ist das Theaterstück Lacrima von Caroline Guiela Nguyen. Darin wird die FIktion der Herstellung des Hochzeitskleides für die englische Prinzessin erzählt und aufgezeigt, wie stark die Produktion von Kleidern heute nicht nur von Gender, sondern auch von Race, Class und geopolitischen Verfügbarkeiten abhängig ist.


Mehr zu "Lacrima" findest Du hier. Und ein Foto aus der Ankündigung für das Stück:




Du hast auch Glück, denn demnächst erscheint ein ganz neues Buch, das von Kunsthistorikerinnen der ZHdK herausgegeben wird und das sich mit Mode und Gender beschäftigt:


Schlittler, Anna-Brigitte & Tietze, Katharina (Hrsg.). 2024. Mode und Gender. Neue Beiträge zur Debatte. Bielefeld. Das Buch wird bald open access verfügbar sein.


Mit dem Überschreiten von Geschlechtergrenzen in der Mode beschäftigt sich zudem folgendes neueres Buch:


Reilly, Andrew & Barry, Ben (Eds.). 2020. Crossing Gender Boundaries. Fashion to Create, Discrupt and Transcend. Bristol. Das Buch ist open access verfügbar.


Ich hoffe nun, Dir ein bisschen weitergeholten zu haben und sende herzliche Grüsse!


Priska

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